Dr. Martina Müller-Wacker ist seit vielen Jahren die führende Expertin im Anerkennungsfeld und neben Bettina Englmann Autorin der Studie Brain Waste. Diese diente als Grundlage für den Gesetzesentwurf des Anerkennungsgesetzes gedient. Heute gibt Dr. Martina Müller-Wacker Fachseminare zum Thema Anerkennung.
Martina, Du bist Mitautorin der Studie Brain Waste, die vor 15 Jahren erschienen ist. Was hat die Studie bewirkt?
Die Studie hat allem voran bewirkt, dass das Thema Anerkennung ausländischer Berufs- und Bildungsabschlüsse in den gesellschaftlichen und politischen Fokus gerückt ist. Es folgten weitreichende neue rechtliche Möglichkeiten in den Anerkennungsgesetzen von Bund und Ländern die einen breiten Zugang zu Anerkennungsverfahren geschaffen haben.
Welche praktischen Entwicklungen folgten?
Eine wichtige praktische Erkenntnis der Studie war, dass Anerkennungsverfahren komplex sind und viele Migrant*innen eine spezifische Fachberatung benötigen, um dabei erfolgreich zu sein. Das war die Geburtsstunde der Anerkennungsberatung. Im Rahmen eines bundesweiten Modellprojektes konnten wir in Augsburg die Anerkennungsberatung aufbauen. Gleichermaßen wichtig war und ist der Aufbau von Anpassungsmaßnahmen durch das IQ-Netzwerk.
Welche Rolle spielt die Anerkennung konkret auf dem Arbeitsmarkt?
Studien belegen mittlerweile, dass die Anerkennung ein wesentlicher Faktor für die nachhaltige und bildungsadäquate Integration, der hier lebenden Migrant*innen ist. Wir wissen in Bezug auf die Arbeitsmarkteffekte einer Anerkennung, dass sie die Beschäftigungschancen und die Verdienste steigert und zudem eine wichtige Bedeutung für viele Arbeitgeber*innen hat.
Welche Bedeutung hat die Anerkennung heute im gesellschaftspolitischen Kontext?
Vor dem Hintergrund unserer demografischen Situation und der Wirtschaftskraft in Deutschland ist das Thema der Fachkräftesicherung von großer Bedeutung. Inzwischen herrscht Konsens darüber, dass wir auf Zuwander*innen angewiesen sind. Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz knüpft die Aufenthaltsmöglichkeiten an die Anerkennung der Berufsabschlüsse. Darüber hinaus ist eine gut funktionierende Anerkennungspraxis wichtig, um unsere Attraktivität für ausländische Fachkräfte zu steigern, wir befinden uns dabei in einem internationalen Wettbewerb.
Der Fachkräftebedarf ist z.B. auch bei den Lehrer*innen groß, gibt es anerkennungsmäßig bereits eine Reaktion darauf?
In Bayern bislang noch nicht. Obwohl wir zahlreiche ausländische Lehrer*innen bereits im Bundesland haben und durch die Geflüchteten aus der Ukraine voraussichtlich noch mehr bekommen werden, schließt Bayern Lehrer*innen aus Drittstaaten kategorisch von einem Anerkennungsverfahren aus. Anstatt dieses pädagogische Potential zu nutzen setzt man lieber auf Quereinsteiger*innen aus der Wirtschaft, ohne pädagogischem Hintergrund und Lehrerfahrung.
Was tust Du, um das Anerkennungsthema weiter zu befeuern?
Bereits seit 2009 gebe ich neben meiner wissenschaftlichen Arbeit mit großer Freude spezifische Fachseminare für wichtige Akteur*innen. Der Informationsbedarf ist enorm gestiegen, unsere derzeitigen Online-Workshops werden stark nachgefragt. Schön dabei ist der konkrete Austausch mit Handelnden in der Praxis und Rückmeldungen darüber, dass ihnen das neue erworbene Wissen im Berufsalltag weiterhilft, wovon natürlich auch zahlreiche Migrant*innen profitieren.